Warum ich mich von den Delegierten auf CDU-Bundesparteitagen nicht mehr vertreten sehe

Der vergangene Parteitag der CDU Deutschlands in Leipzig hat mir wieder einmal vor Augen geführt, wie wenig ich mich noch vom aktuellen Delegiertensystem auf Bundesparteitagen meiner Partei vertreten fühle. Es ist nicht der eine bestimmte Beschluss, der mich zu dieser Meinung verleitet – es ist ein Gesamteindruck.

Der Sinn des Delegiertensystemes ist einfach: Die CDU hat bundesweit über 400.000 Mitglieder. Selbst wenn man spekulativ annimmt, bei einem Basisparteitag á la Piratenpartei würden zehn Prozent der Mitglieder erscheinen, müsste ein Parteitag für 40.000 Menschen organisiert werden. Das ist schlicht unmöglich. Also gibt es Vertreter: Die einzelnen CDU-Verbände entsenden auf Grundlage ihrer Mitgliederzahl Delegierte zum Bundesparteitag. Diese sind frei in ihren Entscheidungen – quasi wie ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages –, sollen aber vom Prinzip ihren jeweiligen Verband und die jeweils darin organisierten Mitglieder vertreten. Deshalb veranstalten alle CDU-Landesverbände und die Vereinigungen stets vor einem Parteitag sog. Delegiertenvorbesprechungen, wo die Delegierten im Sinne ihres Landesverbandes und ihrer Vereinigung eingeschworen werden.

Mir geht es also nicht darum, das Delegiertensystem als solches in Frage zu stellen. Schon aus praktischen Gründen halte ich das für unmöglich. Vielmehr brauchen wir einerseits Formate, damit auch ein einfaches Mitglied das Gefühl bekommt, grundsätzliche Entscheidungen zumindest minimal bestimmen zu können. Und andererseits müssen wir darüber reden, wie die Delegierten gewählt werden.

Kaum Chancen als Ehrenamtlicher

Wie Delegierte gewählt werden, das ist von Verband zu Verband unterschiedlich. Ich beschränke mich daher auf die Eindrücke, die ich in meinem Landesverband (Hessen) gesammelt habe.

Ich möchte eine wesentliche Feststellung treffen: Es ist für mich, als männliches Mitglied, im aktuellen Delegiertensystem unmöglich, jemals als Delegierter zu einem Parteitag zu fahren. Ich müsste entweder Abgeordneter im Deutschen Bundestag, im Hessischen Landtag oder im Europäischen Parlament werden, um eine reelle Chance zu haben, auf Bundesparteitagen ein Stimmrecht zu erhalten. Sprich: Ich müsste ins Hauptamt wechseln. Eher unwahrscheinlich. Eine kleine Lücke gibt es noch: Als CDU-Kreisvorsitzender oder Landesvorsitzender einer wichtigen Vereinigung wie der Jungen Union, gibt es eine theoretische Chance, einmal mitfahren zu dürfen.

Das Teilmonopol der Frauen Union

Einfacher haben es unsere weiblichen Mitglieder: Es gibt viele Frauen, die ehrenamtlich aktiv sind, und für meinen Landesverband mit zu Bundesparteitagen fahren dürfen. Vorgeschlagen wurden sie von der Frauen Union, die quasi ein Teilmonopol darauf hat, die Listen zum CDU-Bundesparteitag zu bestimmen. Der Anteil an Frauen in der CDU ist mit rund 20 Prozent sehr gering – viel zu gering! –, und als Lösung hat man daher erdacht, viele Frauen zu Parteitagen zu schicken, damit zumindest die Beschlüsse „weiblicher“ werden. Diese „Lösung“ hat allerdings mehrere Haken:

1. Die Frauen Union ist eine Vereinigung der CDU. Man muss sich schon aktiv für die Frauen Union engagieren, um von ihr für Parteitagslisten vorgeschlagen zu werden. Die Gruppe an potentiellen Frauen wird so arg verengt und ist nicht repräsentativ. Während der Anteil an Frauen in der CDU eh schon gering ist, ist der Anteil an potentiellen weiblichen Delegierten fast schon ein exklusiver Kreis.

2. Das Teilmonopol der Frauen Union bzw. die Frauenquote auf der Delegiertenliste führt dazu, dass der Platz für Männer auf der Liste noch geringer wird. Und die – im Vergleich zum Anteil der männlichen Mitglieder in der Partei – wenigen verfügbaren Plätze gehen dadurch sehr häufig an hauptamtliche Abgeordnete. Als ehrenamtliches männliches Mitglied hat man daher, wie bereits erwähnt, kaum eine Chance, ein Delegiertenamt jemals bekleiden zu dürfen.

3. Die von Frauen beeinflussten Beschlüsse und Wahlen haben offensichtlich bislang nicht zu Eintrittswellen geführt. Es ist daher fraglich, ob die Frauenquote (bei Delegiertenlisten) ihr Ziel erreicht.

Dieses Teilmonopol/die Frauenquote aufzubrechen, ist in der aktuellen politischen Stimmung faktisch unmöglich: Erstens reagiert die Frauen Union auf jegliche Versuche in dieser Richtung äußerst allergisch. Zweitens muss sich die CDU umgehend kritische Fragen der Medien gefallen lassen, ob sie etwas gegen Frauen hätte. Trotzdem: Die CDU muss aus meiner Sicht andere Antworten finden, um Frauen für die Partei zu begeistern. Dass wir deutlich mehr Frauen in der Union brauchen, steht für mich bei alldem völlig außer Frage!

Unsere Partei lebt einerseits von unseren hauptamtlichen Abgeordneten, andererseits aber auch vom Ehrenamt: Beide „Seiten“ müssen auf Bundesparteitagen vertreten sein. Geht es um männliche Delegierte, habe ich sehr häufig das Gefühl, nur die hauptamtliche Seite ist vertreten. Hauptamtliche Delegierte haben einerseits den großen Vorteil, dass sie sich in manchen Themen viel besser auskennen als ihre ehrenamtlichen Konterparts. Aber sie haben auch den Nachteil, dass sie bei einigen Entscheidungen auch immer bedenken müssen, welche Auswirkungen das auf ihren Beruf haben kann; es ist nicht auszuschließen, dass es Entscheidungen gibt, die ihnen das Mandat kosten könnte. Dies führt zu einer Schere im Kopf. Würde das durch ehrenamtliche Delegierte ausgeglichen, kann ich damit leben; gibt es fast nur männliche Delegierte, die im Hauptamt sind, führt das m. E. zu einem großen Ungleichgewicht und zu einem Graben zwischen Haupt- und Ehrenamt in der Partei.

Beteiligungsformen für einfache Mitglieder

Abseits vom Delegiertensystem auf Parteitagen muss meine Partei, die CDU, darüber reden, wie ein einfaches Mitglied grundsätzliche Entscheidungen mitbestimmen kann. Es gibt zarte Versuche: Die Regionalkonferenzen im Jahr 2018 waren, für sich betrachtet, äußerst erfolgreich und sie haben auch in mir eine Aufbruch-Stimmung ausgelöst.

Aber: Ich durfte mir auf den Regionalkonferenzen „nur“ die Vorstellungen der damals drei Kandidaten für den Vorsitz anhören, ich durfte Fragen stellen. Damit waren meine Möglichkeiten zu Ende. Manche Verbände haben Mitgliederbefragungen gestartet, die einen empfehlenden Charakter hatten. Das ist schon besser, wurde aber nur punktuell umgesetzt. Einen ähnlichen Prozess gibt es für das 2020 zu beschließende Grundsatzprogramm: Es finden verteilt in Deutschland Konferenzen statt, man kann Fragen stellen, Ideen formulieren. Ist man aber nicht zufällig Parteitagsdelegierter im Jahr 2020, ist damit aber schon wieder die Beteiligungsmöglichkeit beendet.

Das Konrad-Adenauer-Haus wiederum hat im Intranet für Mitglieder (CDUplus) die Möglichkeit geschaffen, Antragsideen zu formulieren. Hat eine Antragsidee ausreichend Unterstützung weiterer Mitglieder, hat dieser Antrag die Chance, auf dem Parteitag diskutiert zu werden. Das Kernproblem: Von dieser Möglichkeit weiß kaum ein Mitglied. Das Intranet ist, nachvollziehbarerweise, dezentralisiert: Man muss CDUplus schon aktiv besuchen und nach den Diskussionen suchen. Das führt dazu, dass der Kreis, der auf CDUplus diskutiert, ein recht exklusiver ist. Die Bandbreite der CDU Deutschlands deckt das mit Sicherheit nicht ab. Es muss also darüber nachgedacht werden, wie man viel mehr Mitglieder an solchen Diskussionen beteiligen kann, damit sich diese zumindest an der inhaltlichen Ausgestaltung der CDU beteiligen können.

Möchte die CDU Deutschlands neue Mitglieder gewinnen und bestehende halten, muss sie aus meiner Sicht über all diese Fragen intensiver diskutieren. Es reicht nicht, sich darauf zurückzuziehen, dass es zum Delegiertensystem aus praktischen Gründen keine realistische Alternative gibt. Die CDU muss sich überlegen, wie die Delegierten wieder zu Vertretern im Sinne des Wortes „Vertreter“ werden. Die CDU muss sich überlegen, wie wir mehr Frauen für die Partei gewinnen können, ohne alle Männer zugleich raus zu drängen. Und die CDU muss sich überlegen, wie ein einfaches Mitglied, auch ohne Delegierter zu sein, künftig noch mehr Möglichkeiten hat, grundlegende inhaltliche und personelle Entscheidungen mitbestimmen zu können, oder zumindest das Gefühl bekommt, mitgenommen zu werden.

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